Glasfaser für die ganze Stadt


11 / 04 / 23 - 4 minute read

Viele Liebhaber der englischen Sprache zählen die King-James-Bibel zu ihren Favoriten. Und damit befinden sie sich in guter Gesellschaft: Auch die Schriftsteller Saul Bellow, William Faulkner, Herman Melville und George Orwell galten als Bewunderer des Meisterwerks. Selbst heute noch empfinden viele die 400 Jahre alte Bibelversion mit ihrer reichen, würdevollen Sprache wie Musik, deren Wohlklang die Jahrhunderte überdauert hat, wie The Economist schreibt.

Neugierig geworden? Dann laden Sie sich doch den 750 Seiten schweren Wälzer mit einer guten Breitbandverbindung in weniger als 15 Sekunden aus dem Internet herunter. Heutzutage ist das möglich – während es mit einem bis Ende der 1990er-Jahre noch üblichen Einwahlmodem bei den damals gängigen 28,8 KBit/s sage und schreibe eine Stunde und 22 Minuten gedauert hätte – eine unterbrechungsfreie Verbindung vorausgesetzt. Denn Abbrüche führten unausweichlich zu einem Neustart des Downloads.

Ein Albtraum für die heutige digitale Arbeits- und Gamer-Welt, die ohne High-Speed-Internet stillstehen würde. Die Einwohner von Kenosha im US-Bundesstaat Wisconsin beispielsweise erfreuen sich bald ganzer 10 Gigabit pro Sekunde (GBit/s), sodass sie die King-James-Bibel – sofern Interesse besteht – quasi sofort aufschlagen können.

Da das Internet jedoch meist weltlicheren Zwecken dient, dürften die Bürgerinnen und Bürger Kenoshas ihre High-Speed-Vernetzung vielmehr für Arbeit, Gesundheit oder Unterhaltung wie Streaming oder Computerspiele nutzen. Auch Homeoffice und Bildung setzen ein schnelles Internet voraus. So gehören Videokonferenzen über Zoom und Teams mittlerweile zum Arbeitsalltag, und auch Oracle, Salesforce, SAP und viele andere Anwendungen für Kundenbeziehungsmanagement funktionieren nur mit einer schnellen, verlässlichen Internetverbindung.

Kenosha erhält nun im Rahmen des vor Kurzem angekündigten FiberCity-Netzwerkprojekts ein zukunftssicheres ultraschnelles Glasfasernetz – Fiber-to-the-Premises oder FTTP in im Fachjargon.

Kenosha – ideale Bedingungen für ein neues Geschäftsmodell

Für alle, denen Kenosha nur ein vager Begriff ist: Die Stadt mit knapp 100.000 Einwohnern liegt am Westufer des Lake Michigan etwa 95 Kilometer von Chicago entfernt. Die frühere Industriestadt im „Rust Belt“ um die Großen Seen gelangte durch die lokale Automobil- und Lastwagenproduktion zu Wohlstand, bis Anfang der 1980er-Jahre die letzten Fabriken schlossen. Seither ist sie ein eher verschlafenes Städtchen geworden, in dem sich die arbeitende Bevölkerung nach einem langen Tag in den nahegelegenen Großstädten Chicago und Milwaukee erschöpft aufs Ohr legt.

„Beim Gedanken an die USA kommen einem natürlich zuerst Metropolen wie New York und Los Angeles in den Sinn“, sagt Phoebe Smith, Senior Director bei PATRIZIA Infrastructure. „Aber Städte wie Kenosha passen zum Geschäftsmodell von SiFi, das auf sogenannte 2- und 3-Tier-Städte abzielt.“

SiFi Networks hat sich mit dem Bau und Betrieb privatfinanzierter 100-prozentiger Glasfasernetze, die ganze Städte durchziehen und als öffentliche Netze auch anderen Dienstleistern offenstehen, einen Namen gemacht. Das Unternehmen orientiert sich dabei Smith zufolge am europäischen Geschäftsmodell.

„SiFi war einer der ersten Anbieter eines öffentlichen Netzes in den USA, was weiterhin eher die Seltenheit ist. Daher fanden wir es spannend, dieses – unserer Meinung nach absolut sinnvolle – Geschäftsmodell auf einem neuen Markt mit einzuführen. So sollte Infrastruktur funktionieren.“

Als Geschäftschance betrachtet SiFi unter anderem, dass die Glasfaserabdeckung in den USA für einen so entwickelten Markt deutlich hinterherhinkt. Der Ansatz, Verträge über die Vernetzung einer gesamten Stadt zu schließen, passte gut zum Smart-City-Konzept von PATRIZIA.

„Indem wir jedes Gebäude der Stadt – nicht nur wohlhabende oder zentrale Viertel – ans Glasfasernetz anbinden, schließen wir die digitale Kluft“, bemerkt Smith.

SiFi richtet dabei sein Augenmerk auf mittelgroße und kleine Städte – sogenannte 2- und 3-Tiers – die große Netzwerkanbieter oft übergehen. Dort ist der Bedarf nach schnellerer Internetanbindung meist noch dringender, da Glasfaser kaum vorhanden ist.

Indem wir jedes Gebäude der Stadt – nicht nur wohlhabende oder zentrale Viertel – ans Glasfasernetz anbinden, schließen wir die digitale Kluft.

Phoebe Smith, Senior Director bei PATRIZIA Infrastructure

Phoebe Smith

Von Fullerton in die Weiten der USA

Erstmals kooperierten PATRIZIA und SiFi Networks 2019 im Rahmen eines Investitionsvorhabens im kalifornischen Fullerton südöstlich von Los Angeles miteinander. Dabei handelte es sich um einen Vorläufer vieler weiterer Projekte in Kalifornien, darunter in Placentia, Simi Valley und Rancho Cordova, sowie Salem im US-Bundesstaat Massachusetts.

„Für uns lag der Reiz im stadtweit uneingeschränkten Zugang“, berichtet Smith. „Damit steht das Netz verschiedensten Internetanbietern offen, und auch die Stadt selbst kann Kunde werden. Wenn privat wie beruflich auf behördliche Angebote zugegriffen werden kann, ist auch ein Vertrag mit der Stadt über Smart-City-Services möglich.“

Diese könnte SiFi Networks in großem Umfang anbieten, da das Glasfasernetz das gesamte Stadtgebiet abdeckt. Ohne diese Reichweite würden beispielsweise Sensoren zur Ermittlung des Verkehrsaufkommens oder der Luftqualität nur einzelne Viertel erfassen.

Nach Abschluss wird das FiberCity-Projekt 40.000 Bürgern und Unternehmen Kenoshas Internetgeschwindigkeiten von bis zu 10 GBit/s bereitstellen. Die rund 1.100 Kilometer Glasfaserkabel sollen bis November 2025 verlegt sein.

Das Projekt bringt also eine größere Internetanbieterauswahl für Endverbraucher mit sich. Und es  ebnet Kenosha den Weg hin zur Smart City. Vor allem angesichts des Durchschnittsalters in der Bevölkerung – knapp die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger ist unter 35 – ist High-Speed-Internet unumgänglich, um die zunehmend servicebasierte Wirtschaft der Stadt zu stützen.

PATRIZIA finanziert das Projekt über ihren Smart Cities Infrastructure Fund (SCIF). In diesen weltweit ersten Fonds speziell für Smart-City-Infrastrukturen stieg 2018 der niederländische Pensionsfonds APG Group mit 250 Mio. € ein und stockte sein Engagement drei Jahre später noch einmal um 500 Mio. € auf.

„Telekommunikationsprojekte müssen zukunftssicher sein“

Dass PATRIZIA in das Pioniervorhaben einsteigt, könnte zu der Annahme verleiten, es sei die erste Beteiligung des Investmentmanagers an einem Breitbandprojekt. Weit gefehlt. Matteo Andreoletti, bei PATRIZIA Head of Infrastructure Equity für Europa und Nordamerika, klärt auf: „Telekommunikations- und Breitbandinfrastruktur hatten wir schon Anfang der 2000er-Jahre auf dem Schirm, als wir einige sehr innovative Kommunikationsunternehmen unterstützten.

Erstmals investiert haben wir in diesem Bereich 2002 in ein Projekt in Australien, bei dem wir das Australian Capital Territory und den Bundesstaat Victoria ans Glasfasernetz angeschlossen haben.

Etwa zur selben Zeit unterstützten wir auch die Gründung des britischen Marktführers für Medieninfrastruktur und -technologien, der dort den Großteil der Infrastruktur für Fernsehen, Radio und Drahtloskommunikation bereitstellt.

Diese Erfahrungen haben uns gezeigt, dass Telekommunikation ein wesentlicher Faktor für eine gut funktionierende Wirtschaft ist.

Wir verfolgen die Entwicklung dieser Branche seit jeher sehr aufmerksam – von der Dotcom-Blase Ende der 1990er-Jahre über die Turbulenzen in der Weltfinanzkrise 2007/2008 bis jüngst während der globalen COVID-19-Pandemie. Daraus haben wir gelernt, dass Telekommunikationsprojekte zukunftssicher sein müssen.“

Langfristige Partnerschaft

Eben für diese zukunftssichere Aufstellung sorgt PATRIZIA durch ihre Zusammenarbeit mit SiFi.

Der Netzanbieter hat bereits über 200 Städte im Visier, die künftig ebenfalls FiberCitys werden könnten. US-weit würden dabei über 10 Millionen Haushalte ans Glasfasernetz angeschlossen. Die Kooperation zwischen PATRIZIA und SiFi sei übrigens nicht nur projektbezogen, betont Smith. „Wir haben mit SiFi eine dauerhafte Partnerschaft aufgebaut und freuen uns, die Beziehungen mit Kenosha als sechster Stadt weiter zu festigen.“