Mit seinen 180 qm Fläche ist der Anfang 2017 eröffnete Amazon Go Concept Store kein gewöhnlicher Supermarkt. Er bietet eine „Just Walk out Shopping Experience“ – so nennt Amazon es, wenn sich Kunden nach dem Einkaufen nicht mehr an der Kasse anstellen müssen. Diese unliebsame Aufgabe übernehmen Sensoren: Sie überwachen, was der Kunde mitnimmt und rechnen dann alles über das Amazon-Prime-Konto ab. Angesichts solch futuristischer Supermärkte stellt sich die Frage, warum ausgerechnet der Onlinehändler Amazon heute Ladengeschäfte eröffnet. Schließlich wurde dem Konzern über die Jahre immer wieder der Tod des traditionellen (Buch-)Handels zur Last gelegt. Laut Amazon sollen mit dem neuen Projekt „die Grenzen der Computererkennung und des maschinellen Lernens gesprengt werden, damit Kunden sich im Geschäft einfach nehmen, was sie wollen, und dann gehen können“. Doch was bedeutet das für Handelsimmobilien? Verheißen diese Neuerungen Gutes für die Zukunft?
Lebensmittel- und Supermarktanalysten bestätigten anlässlich der Eröffnung von Amazon Go, dass es für Verbraucher nach wie vor wichtig ist, das Produkt vor dem Kauf anfassen und in die Hand nehmen zu können. Das sind gute Nachrichten für Handelsimmobilien, ganz unabhängig von der Branche. Die Summen, die derzeit in diese Objekte fließen, sprechen für sich. 2016 war ein Rekordjahr. Alleine von Januar bis September 2016 wurden BNP Paribas Real Estate zufolge 39 Mrd. Euro investiert. Mehr als 25 Prozent aller Immobilieninvestments fließen in gewerbliche Objekte. Dabei stehen die Spitzenerträge nach wie vor aufgrund hoher Nachfrage und stark begrenzten Angebots unter Druck, besonders in Bestlagen und Kernmärkten. In Großbritannien sind die Erträge seit 2014 auf unter zwei Prozent gesunken, und auch in Spanien sind sie nach mehreren guten Jahren rückläufig. Die höchsten Mieten werden in der Londoner New Bond Street und der Pariser Avenue des Champs-Élysées bezahlt. In London haben sich die Mieten in 1a-Lagen in den letzten zehn Jahren vervierfacht, in Paris immerhin verdoppelt, so BNPPRE. Mit jährlich 14.725 USD/qm ist die Avenue des Champs-Élysées nach wie vor die teuerste Straße Europas, berichtete das auf Gewerbeimmobilien spezialisierte Beratungsunternehmen Cushman & Wakefield im November. „Die Nachfrage nach den richtigen Immobilien am richtigen Standort ist hoch.
Aufgrund des mangelnden Angebots in den Hauptstraßen steigen die Mieten weiter und die Grenzen etablierter Einkaufsstraßen verlagern sich zunehmend nach außen“, so Justin Taylor, Head of EMEA Retail bei Cushman & Wakefield. „Einzelhändler konfrontieren technische Fortschritte aggressiv, und immer mehr Marken entscheiden sich für den Onlinevertrieb als Ergänzung statt als Ersatz für eine physische Präsenz.“ Auch BNPPRE vertritt die Ansicht, dass der Handel zunehmend erkennt, dass Ladengeschäfte auch für den E-Commerce nötig sind. „Immer mehr Einzelhändler überdenken ihre Onlinestrategie und setzen auf die Vorteile des traditionellen Ladengeschäfts“, so Fiona Hamilton, Global Head of Retail for International Brands. In einem Bericht, der kurz vor der jährlich in Cannes stattfindenden Handelsimmobilienmesse MAPIC im November 2016 veröffentlicht wurde, schreibt sie: „Das Ladengeschäft feiert ein Comeback als der logische nächste Schritt für den Onlinehandel. Im Handel werden Online- und Ladengeschäft zunehmend verknüpft; der Pure-Play-E-Commerce-Ansatz steht vor dem Aus.“
In der Tat zeigt sich, dass Immobilieninvestitionen für Handelsunternehmen mittlerweile Priorität haben. Ein gutes Beispiel ist Macy’s. Die bekannte amerikanische Kaufhauskette gab im November die Zusammenarbeit mit dem kanadischen Vermögensverwalter Brookfield Asset Management mit dem Ziel bekannt, ihr Immobilienportfolio zu erweitern. Brookfield wird im Rahmen der Zusammenarbeit 24 Monate lang das Recht gewährt, einen Vorabentwicklungsplan für alle 50 Immobilien zu erarbeiten, die Macy’s derzeit besitzt. Das Kaufhaus hat dabei die Option, weitere Assets zu identifizieren und in den Vertrag einzubinden. Dabei ist das gesamte Spektrum vom Ausbau bis hin zur vollständigen Neukonzeption abgedeckt. „Die Zusammenarbeit mit Brookfield stärkt unsere Fähigkeit, das Einkaufserlebnis von Kunden zu verbessern. Damit haben wir mehr Flexibilität, in unsere produktivsten Standorte mit dem höchsten Potenzial zu investieren, und können unsere Immobilienanlagen optimal nutzen“, so Macy’s CEO Terry J. Lundgren. Vor Bekanntgabe der Partnerschaft hatte Macy’s, dessen Umsatz 2015 bei mehr als 27 Mrd. USD lag, bereits angekündigt, dass Ladengeschäfte ein wesentlicher Aspekt seiner langfristigen Omnichannel-Strategie und seiner Bilanzziele sein würden.
Immobilieninvestoren schnappen sich dabei die besten Einzelhandelsobjekte. Im November erwarb der norwegische Staatsfonds Norges, dessen verwaltetes Vermögen sich auf 800 Mrd. Euro beläuft, eine im Umbau befindliche gemischt genutzte Immobilie von Great Portland Estates für 276,5 Mio. britische Pfund. Das Objekt mit Adresse 73-89 Oxford Street war bereits das zweite Investment des Fonds in dieser Einkaufsstraße in zentraler Londoner Stadtlage seit dem Brexit-Wahlergebnis im Juni. Das 8.100 qm große Gebäude umfasst zwei große Ladengeschäfte, die bereits an die exklusiven Modeketten New Look und Benetton vorvermietet sind. Im Dezember bezahlte der Fonds eine Milliarde Euro für den Kauf eines 26.800 qm großen Büro- und Einzelhandelsobjekts an dem berühmten Place Vendôme in Paris. Der von Sonnenkönig Ludwig XIV. Anfang des 18. Jahrhunderts geplante Platz – einer der fünf „Königsplätze“ – ist heute für seine Luxusgeschäfte und -hotels berühmt, u.a. das Hôtel Ritz.
Das ist nur eines von unzähligen Beispielen für den Appetit institutioneller Anleger aus aller Welt auf 1a-Handelsimmobilien. So erwarb im September ein Joint Venture eine New-Bond-Street-Immobilie in Bestlage für 198 Mio. britische Pfund. Die Investoren: Oxford Properties, der Immobilienmanagementzweig des kanadischen Rentenfonds OMERS mit Assets im Wert von 34 Mrd. USD, die schweizerische Luxuswarengruppe Richemont über deren Immobilienzweig RLG Real Estate Advisors und das privat geführte US-amerikanische Handelsimmobilien-Investmentunternehmen Crown Acquisitions. Im November kauften der US-Finanzdienstleiser TIAA und NEINVER, ein spanischer Gewerbeimmobilien-Bauträger, sechs Outletzentren in ganz Europa im Wert von mehr als 700 Mio. Euro und dazu gleich noch ein spanisches Einzelhandelszentrum zu einem Preis, der Berichten zufolge bei mehr als 100 Mio. Euro liegen soll. Damit wäre dies eine der größten Einzelhandelsakquisitionen des Jahres. Auch wenn London und Paris nach wie vor die attraktivsten Märkte in Europa sind, befinden sich Amsterdam, Barcelona und Warschau steil im Aufstieg und erwecken zunehmend das Interesse internationaler Marken, die nach Immobiliendienstleister Savills eine Expansion in der Region anstreben. Zwischenzeitlich sind laut dem Wirtschaftsfoschungsunternehmen Capital Economics die Spitzenmieten in Bestlagen in Barcelona seit Anfang 2015 um 17 Prozent und in Madrid um 15 Prozent angestiegen.
Der Omnichannel-Ansatz, das heißt „Clicks to Bricks“, war das Hauptthema der letzten MAPIC. Dort bestätigten Cyril Grira, Industry Head Retail, und Emmanuel Begerem, Head of Channel Partnerships bei Google, dass die Grenze zwischen on- und offline immer stärker verschwimmt. „Beispielsweise suchen Verbraucher online, bevor sie etwas im Geschäft kaufen, oder vergleichen mit dem Smartphone Preise, während sie im Geschäft stehen. Google arbeitet eng mit Einzelhändlern und anderen Partnern in aller Welt zusammen, um Online-to-Store- und Omnichannel-Einzelhandelslösungen zu entwickeln“, berichteten sie.
Dennoch boomt der Onlinehandel. Ein Trend, der sich in jüngster Zeit erheblich auf ein anderes Immobiliensegment auswirkt, nämlich die Logistik. Der Druck hin zu immer schnelleren Lieferungen drängt Logistikunternehmen in zentrale Stadtlagen. In Deutschland, wo der Onlinehandel 2016 einen Umsatz von etwa 60 Mrd. Euro erwirtschaftete, hat Amazon im Rahmen seines neuen Schnelllieferdiensts in Berlin und München kleinere Logistikzentren in Innenstadtlagen eingerichtet. Die Deutsche Post DHL betreibt eine Zustellbasis in Düsseldorf. „Aktuelle Megatrends wie Lieferung am selben Tag und innerhalb einer Stunde stellen neue Herausforderungen für Logistik- und Einzelhandelsunternehmen dar“, so Peter Kund, Head of Industrial and Logistics Germany bei Colliers International. „Angesichts des Wachstums im E-Commerce wird die Logistik in Stadtzentren immer weiter expandieren und es entstehen neue Liefermodelle, die für städtische Anforderungen maßgeschneidert sind. Die Knappheit verfügbarer Flächen erfordert Flexibilität und Kreativität, um diese Logistik im kleinen Stil effektiv in der Großstadt umsetzen zu können.“
Ende 2016 wurde bekannt, dass der deutsche Investor und Bauträger ECE bis Ende 2019 deutschlandweit neun Logistikzentren für Hermes bauen wird. Die Investition? 600 Mio. Euro. Alle drei Monate entsteht so im Durchschnitt ein neues Logistikzentrum. Diese Projekte sind Teil des Expansionsplans von Hermes. Das Unternehmen möchte damit seine Infrastruktur an das Wachstum im E-Commerce anpassen und Lieferungen beschleunigen. „Mit den neuen Standorten sind wir einfach näher bei unseren aktuellen und potenziellen E-Commerce-Kunden”, so Dirk Rahn, Managing Director Operations für Hermes Germany.
Eines ist jedenfalls gewiss: Die Zeit, in der Logistikimmobilien eine untergeordnete Rolle spielten, ist vorbei. Heute setzen auch die größten Investoren auf diese Anlageklasse. So gab der Investmentfonds GIC aus Singapur im November bekannt, die gesamteuropäische Logistikplattform P3 Logistic Parks für 2,4 Mrd. Euro erworben zu haben. Im selben Monat meldete Blackstone – die größte Investmentgesellschaft in Privathand der Welt – den Kauf eines 2,2 Mio. Quadratmeter umfassenden Logistikportfolios in Italien und Spanien. Über den Kaufpreis schwieg man sich aus. 44 Prozent der im Oktober von BrickVest befragten institutionellen Anleger sind überzeugt, dass die Logistik in den kommenden zwölf Monaten die größten Chancen auf dem europäischen Immobilienmarkt bieten wird. In Deutschland stieg der Take-up auf ein Rekordhoch von fünf Mio. Quadratmetern an, und das trotz knappem Angebot, so JLL. Gestützt durch den Online-Einzelhandel liegt dieses Ergebnis 43 Prozent über dem Zehn-Jahres-Durchschnitt. Bereits im ersten Halbjahr 2016 erreichten die Industrie- und Logistikinvestitionen in Europa laut BNPPRE fast elf Mrd. Euro.
Nahtlose Kundenerfahrung, Omnichannel-Strategie, Online-to-Store – all diese Begriffe deuten darauf hin, dass 2017 abermals ein vielversprechendes Jahr für Einzelhandels- und Logistikimmobilieninvestments sein dürfte.