
Nachhaltigkeit muss auch sozial sein
31 / 10 / 23 - 9 minute read
Nachhaltig muss es sein. Kaum ein Immobilieninvestor, der sich nicht zur Einhaltung von Nachhaltigkeitszielen verpflichtet; kaum eine Projektentwicklung, die nicht höchste Nachhaltigkeit anstrebt; kaum eine immobilienwirtschaftliche Fachveranstaltung, die nicht über Nachhaltigkeit oder ESG (also die Abkürzung für die drei Säulen der Nachhaltigkeit: Environmental, Social, Governance) diskutiert.
Und doch ist die Diskussion über Nachhaltigkeit einseitig, kritisiert Dr. Marcus Cieleback. „Wir reden zwar viel über ESG, meinen damit aber eigentlich meistens nur das E“, sagt der Managing Director Investment Strategy and Research bei der PATRIZIA SE. Natürlich, betont Cieleback, trage die Immobilienbranche eine große Verantwortung für die Erreichung der Klimaziele und müsse ihren Beitrag leisten, um den CO2-Ausstoß von Wohnimmobilien zu verringern. „Aber wenn wir die soziale Komponente vernachlässigen“, erklärt Cieleback, „stellt uns das im Wohnungsbereich vor riesige Herausforderungen.“

Dr Marcus Cieleback, PATRIZIA Chief Urban Economist
Wie berechtigt diese Aussage ist, zeigte in Deutschland zuletzt die aufgeheizte Debatte über die geplante Änderung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, mit dem sogenannten Heizungsgesetz eine Austauschpflicht für Öl- und Gasheizungen einzuführen, lösten heftige Proteste aus. Dabei stellt zwar kaum jemand grundsätzlich in Frage, dass der Verbrauch von Erdgas und Erdöl im Interesse des Klimaschutzes eingeschränkt werden muss. Sowohl Eigentümer als auch Mieter fürchten aber, durch die Pflicht zum Einbau einer Wärmepumpe oder einer anderen mit erneuerbaren Energien betriebenen Heizung finanziell überfordert zu werden – zumal in einer Zeit, in der die hohe Inflation zahlreiche Haushalte ohnehin vor finanzielle Probleme stellt.
„Vielleicht geht die Politik zu ideologisch und wenig ressortübergreifend vor“, sagt Marcus Cieleback. „Wenn wir die Bevölkerung nicht verlieren wollen, brauchen wir mehr Pragmatismus.“ Außerdem müsse sich der Staat seiner Verantwortung stellen und bei der energetischen Sanierung des Gebäudebestands ausreichend finanzielle Unterstützung leisten. „Denn wenn die Gesellschaft – völlig zu Recht – der Meinung ist, dass der Klimawandel verlangsamt werden muss, dann ist das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die der Staat finanzielle Mittel zur Verfügung stellen muss – ähnlich wie bei der Landesverteidigung“, argumentiert der PATRIZIA-Chefresearcher.
Dabei weist Cieleback auf einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Wohnungsmarkt und dem gewerblich genutzten Immobiliensegment hin: Büro- und andere Gewerbemieter seien eher bereit und in der Lage, höhere Mieten zu akzeptieren, wie sie durch energetische Modernisierungsmaßnahmen erforderlich seien. Viele Wohnungsmieter seien hingegen finanziell schon so stark belastet, dass sie eine Mieterhöhung aufgrund einer Fassadendämmung oder des Einbaus einer Wärmepumpe in existenzielle Nöte bringe. „Deshalb“, fordert Cieleback, „müssen wir vermehrt über das S in ESG sprechen.“
Doch das ist gar nicht so einfach. Denn noch mangelt es an einheitlichen Kriterien für die sozialen Aspekte in der Tätigkeit von Immobilienunternehmen. Während die EU-Taxonomie zumindest auf einigen Feldern bereits klare Vorgaben an die ökologischen Kriterien formuliert, fehlen solche Kennwerte im sozialen Bereich. Die Lücke zu schließen versuchen private Institutionen. So hat zum Beispiel das Institut für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft Forschungsarbeiten beauftragt mit dem Ziel, messbare Kriterien für das S in der Immobilienbranche zu entwickeln.
Das ist nach Ansicht von Marcus Cieleback zwar zu begrüßen, reicht aber nicht aus. „Vieles bewegt sich noch auf einer theoretischen Ebene“, stellt er fest. „Deshalb brauchen wir einen klaren regulatorischen Rahmen und eine Taxonomie auch für das S und G in ESG. Erst das wird es ermöglichen, mit belastbaren Kennziffern zu arbeiten.“
Wie unklar die Verhältnisse derzeit sind, verdeutlicht Cieleback am Beispiel Affordability, also der Leistbarkeit von Wohnraum. In Großbritannien gilt nach Definition der Regierung derjenige Wohnraum als leistbar, der zwanzig Prozent unter Marktniveau vermietet wird – was in London für einen Polizisten oder eine Krankenschwester immer noch unbezahlbar ist. Laut der Europäischen Statistikbehörde (Eurostat) wiederum ist Wohnraum dann leistbar, wenn ein Haushalt maximal 40 Prozent seines Einkommens für das Wohnen ausgibt. Für untere Einkommensgruppen ist diese Anforderung laut Cieleback im Neubau jedoch ohne öffentliche Förderung nicht zu erfüllen, da dies in den meisten Fällen einer Quadratmetermiete von maximal acht oder neun Euro entsprechen würde.
„Grundsätzlich“, betont Cieleback, „ist leistbarer Wohnraum für institutionelle Investoren eine sehr attraktives Anlageziel. Denn die Nachfrage ist immer gesichert, und zudem haben solche Investitionen einen positiven sozialen Aspekt.“ Das Problem sei jedoch die Verfügbarkeit solcher Projekte. Und die dürfte in absehbarer Zukunft nicht wesentlich größer werden, da derzeit als Folge von Zinsanstieg, Baukostensteigerung und Investorenzurückhaltung europaweit (mit Ausnahme von Irland) ein deutlicher Rückgang der Bautätigkeit zu beobachten ist. Besonders markant fällt dieser in Deutschland aus: 2022 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts 295.000 Wohnungen fertiggestellt und damit deutlich weniger als die 400.000 neuen Einheiten, die die Bundesregierung anstrebt. Für das laufende Jahr erwarten Fachleute eine Fertigstellungszahl von lediglich etwa 240.000 Einheiten, und 2025, so vermutet Cieleback, dürften es sogar nur noch 200.000 sein.
Dr. Marcus Cieleback

Parallel dazu ist auch das Transaktionsvolumen von Wohnimmobilien rückläufig, wie aus dem neuen „European Residential Markets Report“ von PATRIZIA hervorgeht. Demnach wechselten von Mitte 2022 bis Mitte 2023 europaweit Wohnimmobilien für rund 46 Milliarden Euro den Eigentümer, was gegenüber dem vorangegangenen Vergleichszeitraum einem Rückgang um fast sechzig Prozent entspricht. Hauptgrund dafür ist, dass Investoren als Folge der gestiegenen Zinsen eine höhere Rendite verlangen, während Verkäufer (noch) nicht bereit sind, ihre Preisvorstellungen entsprechend anzupassen. Die Folge, so Cieleback: „Institutionelle Investoren sind derzeit bei Ankäufen vorsichtig.“ Er erwartet, dass das Transaktionsgeschehen frühestens im Frühjahr 2024 wieder Fahrt aufnehmen wird.
Langfristig aber, davon ist Cieleback überzeugt, bleiben Wohnimmobilien für institutionelle Investoren eine wichtige Säule. Denn die Nachfrage seitens der Mieter sei stark und nehme wegen der lahmenden Neubautätigkeit sogar zu. Damit dürften auch die Mieten weiter steigen – womit wiederum der soziale Aspekt ins Spiel kommt. Um den Mietanstieg zu begrenzen, greift vielerorts die Politik verstärkt in die Mietmärkte ein, wie Cieleback beobachtet. Dabei ist nach seinen Worten eine gewisse Regulierung zwar durchaus angebracht, da Wohnen eine Grundnotwendigkeit ist. Auf eines aber müsse die Politik achten: „Wenn sich die Regulierung permanent ändert, wird sie für Investoren tatsächlich zum Problem.“

Dr Marcus Cieleback, PATRIZIA Chief Urban Economist
Wie berechtigt diese Aussage ist, zeigte in Deutschland zuletzt die aufgeheizte Debatte über die geplante Änderung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, mit dem sogenannten Heizungsgesetz eine Austauschpflicht für Öl- und Gasheizungen einzuführen, lösten heftige Proteste aus. Dabei stellt zwar kaum jemand grundsätzlich in Frage, dass der Verbrauch von Erdgas und Erdöl im Interesse des Klimaschutzes eingeschränkt werden muss. Sowohl Eigentümer als auch Mieter fürchten aber, durch die Pflicht zum Einbau einer Wärmepumpe oder einer anderen mit erneuerbaren Energien betriebenen Heizung finanziell überfordert zu werden – zumal in einer Zeit, in der die hohe Inflation zahlreiche Haushalte ohnehin vor finanzielle Probleme stellt.
„Vielleicht geht die Politik zu ideologisch und wenig ressortübergreifend vor“, sagt Marcus Cieleback. „Wenn wir die Bevölkerung nicht verlieren wollen, brauchen wir mehr Pragmatismus.“ Außerdem müsse sich der Staat seiner Verantwortung stellen und bei der energetischen Sanierung des Gebäudebestands ausreichend finanzielle Unterstützung leisten. „Denn wenn die Gesellschaft – völlig zu Recht – der Meinung ist, dass der Klimawandel verlangsamt werden muss, dann ist das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die der Staat finanzielle Mittel zur Verfügung stellen muss – ähnlich wie bei der Landesverteidigung“, argumentiert der PATRIZIA-Chefresearcher.
Dabei weist Cieleback auf einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Wohnungsmarkt und dem gewerblich genutzten Immobiliensegment hin: Büro- und andere Gewerbemieter seien eher bereit und in der Lage, höhere Mieten zu akzeptieren, wie sie durch energetische Modernisierungsmaßnahmen erforderlich seien. Viele Wohnungsmieter seien hingegen finanziell schon so stark belastet, dass sie eine Mieterhöhung aufgrund einer Fassadendämmung oder des Einbaus einer Wärmepumpe in existenzielle Nöte bringe. „Deshalb“, fordert Cieleback, „müssen wir vermehrt über das S in ESG sprechen.“
Doch das ist gar nicht so einfach. Denn noch mangelt es an einheitlichen Kriterien für die sozialen Aspekte in der Tätigkeit von Immobilienunternehmen. Während die EU-Taxonomie zumindest auf einigen Feldern bereits klare Vorgaben an die ökologischen Kriterien formuliert, fehlen solche Kennwerte im sozialen Bereich. Die Lücke zu schließen versuchen private Institutionen. So hat zum Beispiel das Institut für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft Forschungsarbeiten beauftragt mit dem Ziel, messbare Kriterien für das S in der Immobilienbranche zu entwickeln.
Das ist nach Ansicht von Marcus Cieleback zwar zu begrüßen, reicht aber nicht aus. „Vieles bewegt sich noch auf einer theoretischen Ebene“, stellt er fest. „Deshalb brauchen wir einen klaren regulatorischen Rahmen und eine Taxonomie auch für das S und G in ESG. Erst das wird es ermöglichen, mit belastbaren Kennziffern zu arbeiten.“
Wie unklar die Verhältnisse derzeit sind, verdeutlicht Cieleback am Beispiel Affordability, also der Leistbarkeit von Wohnraum. In Großbritannien gilt nach Definition der Regierung derjenige Wohnraum als leistbar, der zwanzig Prozent unter Marktniveau vermietet wird – was in London für einen Polizisten oder eine Krankenschwester immer noch unbezahlbar ist. Laut der Europäischen Statistikbehörde (Eurostat) wiederum ist Wohnraum dann leistbar, wenn ein Haushalt maximal 40 Prozent seines Einkommens für das Wohnen ausgibt. Für untere Einkommensgruppen ist diese Anforderung laut Cieleback im Neubau jedoch ohne öffentliche Förderung nicht zu erfüllen, da dies in den meisten Fällen einer Quadratmetermiete von maximal acht oder neun Euro entsprechen würde.
„Grundsätzlich“, betont Cieleback, „ist leistbarer Wohnraum für institutionelle Investoren eine sehr attraktives Anlageziel. Denn die Nachfrage ist immer gesichert, und zudem haben solche Investitionen einen positiven sozialen Aspekt.“ Das Problem sei jedoch die Verfügbarkeit solcher Projekte. Und die dürfte in absehbarer Zukunft nicht wesentlich größer werden, da derzeit als Folge von Zinsanstieg, Baukostensteigerung und Investorenzurückhaltung europaweit (mit Ausnahme von Irland) ein deutlicher Rückgang der Bautätigkeit zu beobachten ist. Besonders markant fällt dieser in Deutschland aus: 2022 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts 295.000 Wohnungen fertiggestellt und damit deutlich weniger als die 400.000 neuen Einheiten, die die Bundesregierung anstrebt. Für das laufende Jahr erwarten Fachleute eine Fertigstellungszahl von lediglich etwa 240.000 Einheiten, und 2025, so vermutet Cieleback, dürften es sogar nur noch 200.000 sein.
Dr. Marcus Cieleback

Parallel dazu ist auch das Transaktionsvolumen von Wohnimmobilien rückläufig, wie aus dem neuen „European Residential Markets Report“ von PATRIZIA hervorgeht. Demnach wechselten von Mitte 2022 bis Mitte 2023 europaweit Wohnimmobilien für rund 46 Milliarden Euro den Eigentümer, was gegenüber dem vorangegangenen Vergleichszeitraum einem Rückgang um fast sechzig Prozent entspricht. Hauptgrund dafür ist, dass Investoren als Folge der gestiegenen Zinsen eine höhere Rendite verlangen, während Verkäufer (noch) nicht bereit sind, ihre Preisvorstellungen entsprechend anzupassen. Die Folge, so Cieleback: „Institutionelle Investoren sind derzeit bei Ankäufen vorsichtig.“ Er erwartet, dass das Transaktionsgeschehen frühestens im Frühjahr 2024 wieder Fahrt aufnehmen wird.
Langfristig aber, davon ist Cieleback überzeugt, bleiben Wohnimmobilien für institutionelle Investoren eine wichtige Säule. Denn die Nachfrage seitens der Mieter sei stark und nehme wegen der lahmenden Neubautätigkeit sogar zu. Damit dürften auch die Mieten weiter steigen – womit wiederum der soziale Aspekt ins Spiel kommt. Um den Mietanstieg zu begrenzen, greift vielerorts die Politik verstärkt in die Mietmärkte ein, wie Cieleback beobachtet. Dabei ist nach seinen Worten eine gewisse Regulierung zwar durchaus angebracht, da Wohnen eine Grundnotwendigkeit ist. Auf eines aber müsse die Politik achten: „Wenn sich die Regulierung permanent ändert, wird sie für Investoren tatsächlich zum Problem.“