
Kapitalfluss ausgebremst: Beschleunigen höhere Fremdkapitalkosten und Dekarbonisierung Immobilienverkäufe?
15 / 05 / 23 - 7 minute read
Nachdem die Renditen in den vergangenen 20 Jahren klar von billigen Krediten profitiert haben, sind die Zinssätze in den letzten Jahren drastisch gestiegen und die Inflation pendelt sich auf Levels der 1990er Jahre ein.
Was dies für Anleger bedeutet, legte PATRIZIA jüngst in ihrem Bericht „Managing Real Estate in the New Norm“ dar: Sie können sich künftig nicht mehr auf die Yield Compression verlassen, sondern müssen sich wieder mehr den Erträgen zuwenden. Doch angesichts der hohen Inflation und in vielen Teilen der Welt lauernden Rezession fällt der Spagat zwischen Ertragswachstum und gleichzeitig bezahlbaren Mieten nicht leicht.
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Im New Normal seien nun stabile Einnahmen entscheidend, meint Mahdi Mokrane, Head of Global Investment Strategy, Research & Investment Solutions bei PATRIZIA: „Trotz solider Grundlagen in den meisten Märkten ist die Core-Strategie mit höherer Verschuldung heute passé; unserer Einschätzung nach werden wir eine Weile lang keinen hohen Verschuldungsgrad beim Asset-Erwerb mehr sehen. Der Fokus wird künftig auf stabilen Einnahmen liegen, die einen Inflationsschutz bieten.“
Die kommenden zwei Jahre werden viele Anleger vor große Herausforderungen stellen, da für zahlreiche Transaktionen der letzten fünf bis sieben Jahre nun die Refinanzierung ansteht. Angesichts der deutlich teurer gewordenen Kredite könnten sich nun mehr Anleger für den Verkauf ihrer Assets entscheiden, glaubt Mokrane.
„Wir rechnen in einigen Bereichen mit Marktverwerfungen, ausgelöst insbesondere durch zwei Schlüsselfaktoren. Einer davon ist die Refinanzierung zahlreicher Assets, die vor vier oder fünf Jahren gekauft wurden. Hier wird es angesichts der mittlerweile höheren Zinssätze in einigen Fällen nicht gelingen, das zusätzlich benötigte Kapital zur Senkung der Loan-to-Value Ratio zu beschaffen.“
„Der zweite Faktor sind die nötigen Investitionsausgaben (CAPEX) für einige dieser Assets, um in der aktuellen Situation ihren Wert zu erhalten. Durch den Denominator-Effekt bei Krediten und [den Bedarf an] Value-add-Strategien ergeben sich Chancen für Core-Objekte mit Preisabschlägen.“
Mokrane zufolge weisen Untersuchungen darauf hin, dass allein im Vereinigten Königreich Immobilienschulden in Höhe von über 60 Mrd. GBP in den kommenden zwei Jahren refinanziert werden müssen. Für die restlichen europäischen Länder würden sogar noch höhere Summen erwartet.
„Sämtliche Transaktionen der letzten vier bis sechs Jahre stehen kurz vor der Refinanzierung, und zwar unter völlig neuen Bedingungen“, fährt er fort. „Wie sich bereits heute abzeichnet, wird dies für einige ein Anreiz zum Verkauf sein. Das muss gar nicht unbedingt als Notfallmaßnahme geschehen, denn an sich ist die Rechnung relativ simpel: Bei einem Asset mit einem Leverage von vormals 60 bis 65 % werden die Banken davon ausgehen, dass der Wert um wahrscheinlich 10 bis 15 % gesunken ist, und daher nur noch 50 % des Werts leihen. Das erfordert den Einsatz recht hoher Kapitalsummen.“
Daten und Forschung
Obwohl künftig mit einem deutlich anspruchsvolleren Investitionsumfeld zu rechnen ist, könnte die zu erwartende Volatilität interessante Chancen für Anleger bieten, die sich mit dem Profil ihres Mieterstamms auseinandergesetzt haben.
Die Voraussetzung dafür ist ein umfassendes Verständnis der Mieterwünsche und -anforderungen sowie eine Wertsteigerung der Assets, die modernen Standards nicht gerecht werden.
„Wir investieren viel Zeit, um den Standort und die Beziehung zur Mieternachfrage genau zu analysieren“, erklärt Mokrane. „Dabei nutzen wir unseren Amenities Magnet 15 Minutes Report, der zwar ursprünglich für Wohngebäude entwickelt wurde, aber auch durchaus für Bürogebäude geeignet ist. Wir erfassen jeden einzelnen Point of Interest innerhalb von 10 bis 15 Rad- oder Gehminuten von einem Bürogebäude, das wir neupositionieren wollen. Denn zwischen der Qualität der Points of Interest und dem Mieterinteresse besteht eindeutig ein Zusammenhang.“
„Dabei nutzen wir beispielsweise die Geocodierung von Bäckereien, Kindergärten, Restaurants, Kneipen, Arztpraxen oder unterschiedlichen Ladengeschäften“, erklärt er weiter. „Wir erfassen und analysieren die Daten und ziehen Rückschlüsse auf die Nachfrage und letztlich Objektrendite, inklusive Mieten, Leerstand und Dauer bis zur Neuverpachtung. Gerade bei Wohngebäuden, die in der Vergangenheit den Löwenanteil unseres Portfolios ausgemacht haben, waren wir bereits sehr aktiv. Mittlerweile haben wir uns aber auch mit verschiedenen kommerziellen Immobilienarten befasst. Für Wohn- und Bürogebäude sind jedoch nicht unbedingt dieselben Points of Interest relevant. Mitunter gibt es zwar Überschneidungen, oft aber auch nicht. Bei Büros sind zum Beispiel Restaurants oder Catering-Anbieter in der Nachbarschaft wichtiger als Einzelhandelsgeschäfte und Supermärkte.“
Manchmal bringen die Analysen Lücken im lokalen Angebot an Points of Interest ans Licht. Um diese zu schließen, schafft PATRIZIA in bestimmten Fällen innerhalb der Gebäude Raum, zum Beispiel für Kindertagesstätten, Ladengeschäfte oder sogar eine Bücherei.
Zur umfassenden Untersuchung des Mieterbedarfs hat PATRIZIA Forschungskapazitäten aufgebaut, die nicht nur branchenweit bewährte Kennzahlen, sondern vermehrt auch Daten aus bislang ungenutzten Quellen berücksichtigt. So nimmt das Team beispielsweise Kennzahlen wie Luftverschmutzung oder Lärmbelastung unter die Lupe.
„Die Luftqualität oder Lärmbelastung ist zwar auch für Büros relevant, umso mehr aber für diejenigen, die im Gebäude wohnen“, erklärt Mokrane. „Also haben wir unsere Tools für unterschiedliche Anforderungen und Immobilienarten ausgelegt. Seit Kurzem verfügen wir zum Beispiel über selbstentwickelte Tools, mit denen wir das Einzugsgebiet für die städtische und Big-Box-Logistik messen. Dabei wird untersucht, wie viele Haushalte sich innerhalb einer bestimmten Fahrtzeit befinden und wie hoch ihre Kaufkraft ist. Für den Einzelhandel haben wir einen ähnlichen Ansatz ausgearbeitet.“
Die Modelle werden fortlaufend verbessert und beziehen vermehrt Daten aus neuen Quellen wie dem Internet der Dinge oder Gebäuden ein.
„Durch den persönlichen Austausch mit unseren Mietern verstehen wir besser, was sie heute, aber auch morgen brauchen. Doch wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen und unsere Assets sprechen lassen."
„Mit dem Internet der Dinge implementieren wir Systeme, die nicht allzu kostspielig sind und Informationen über die Raumnutzung liefern: Wann betreten und verlassen die Bewohner das Gebäude? Wann sind die Spitzenzeiten? Welche Gebäudeteile werden intensiv genutzt und welche eher weniger?"
„Und welche Bereiche des Gebäudes müssen nicht beleuchtet oder beheizt werden? Es gibt viele Möglichkeiten, um Gebäudenutzung und Energieverbrauch zu optimieren.“
Da Nachweise zu Umweltfreundlichkeit von Gebäuden immer mehr in den Fokus rücken und der Druck zur Dekarbonisierung von Assets steigt, werden Daten immer wichtiger. Wie Mokrane berichtet, findet das Team immer mehr Bereiche mit Verbesserungspotenzial.
„Unsere Infrastrukturteams bringen in verschiedenen Städten Sensoren im Wassersystem an und können dank städtischer Verträge Lecks aufspüren. Jährlich gehen durch Leckage Milliarden Liter an Wasser verloren, selbst in Staaten wie dem Vereinigten Königreich. Hier sehen wir enormes Einsparpotenzial, denn die Aufbereitung von Abwasser in Trinkwasser ist sehr energie-, arbeits- und kostenaufwändig.“
2020 entwickelte PATRIZIA eine eigene Plattform für Smart-Building-Technologien, die speziell zur Verbesserung der Effizienz von Gebäudesystemen wie Heizung, Wasser- und Stromversorgung sowie Beleuchtung dient. Mit der Plattform sollen zudem Abfall reduziert und Ressourcen wie Wasser und Gas effizienter genutzt werden.
„An erster Stelle müssen Sie Ihre Mieter auf Ihre Seite bringen und sie überzeugen, der Weitergabe von Informationen über die Gebäudenutzung zuzustimmen, damit Sie entsprechende Optimierungen vorantreiben können. Denn wer Geld spart, ist letztlich auch eher bereit, für den Raum und den damit verbundenen neuen Service zu bezahlen“, weiß Mokrane.
Dekarbonisierung und Energieeffizienz werden nicht nur von Anlegern vorangetrieben – auch die EU-Gesetzgeberinnen und -gesetzgeber drängen auf strengere Regelungen für die Energieeffizienz in Gebäuden.
Ende 2021 wurden für die EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden mehrere Änderungen vorgelegt, gemäß denen EU-Mitgliedsstaaten bis 2027 Mindestvorgaben für die Energieeffizienz einführen sollen. Daneben wurde definiert, was genau ein Null-Emissions-Gebäude ausmacht.
Bei Genehmigung der Vorschläge treten für Anleger zusätzliche Bestimmungen zu Investitionsausgaben in Kraft.
„Der Investitionsaufwand zur Erfüllung der Energieeffizienzstandards ist enorm“, berichtet Mokrane. „Für die Sanierung des gesamten Gebäudebestands allein in Europa ist mit bis zu 7 Bio. EUR zu rechnen.“
Obwohl der Löwenanteil dieser Summe auf Wohngebäude entfallen wird, sind weiterhin nicht unerhebliche Investitionen zur Sanierung von Büro-, Logistik-, Handels- und Hotelgebäuden erforderlich. In Erwartung strengerer Energieeffizienzgesetze nehmen die Prämien für nachweislich umweltfreundliche Gebäude zu.
„Wir beobachten derzeit einen Anstieg der Green Premiums und Brown Discounts im Markt“, bestätigt Mokrane. „Sowohl in unseren eigenen Portfolios als auch im Markt gibt es Prämien in Höhe von 20 bis 25 % für nachweislich umweltfreundliche Assets – vor allem im Londoner Markt für Bürogebäude, aber auch in anderen Märkten wie Paris, Frankfurt am Main und Berlin. Diese Prämien sind großartig, da sie Investitionsprogramme unterstützen. Value-add-Angebote werden künftig sehr attraktiv werden, da in den kommenden Jahren entsprechende Assets auf den Markt kommen.“
In der Vergangenheit fanden Green Premiums im Markt nur wenig Berücksichtigung, doch wie Mokrane aus Gesprächen mit Kapitalgebern weiß, könnte sich dies künftig ändern. In PATRIZIAs europäischem Netzwerk mit über 240 Kapitalgebern kommt immer häufiger die Frage nach „grünen“ Investitionen auf.
„Mittlerweile fragen Kapitalgeber immer auch, was angesichts der Bestimmungen und Investitionen geplant ist, ob dies eingepreist wurde und ob die nötigen Investitionssummen bereitstehen“, berichtet Mokrane.
Er glaubt, dass dies Anleger, die nicht in die Modernisierung ihrer Assets investieren wollen oder können, schneller dazu bewegen wird, ihre Immobilie zu verkaufen.
„Viele, die heute refinanzieren und angesichts höherer Zinssätze mehr Kapital einsetzen müssen, werden sich mit Blick auf die Zukunft sagen: ‚Künftig muss ich noch mehr Kapital aufbringen, um die Investitionsprogramme zu finanzieren.‘ Zusammengenommen könnten höhere Fremdkapitalkosten und Investitionsaufwände für Sanierungen also Entscheidungen beschleunigen, Assets jetzt zu verkaufen.“
Der Originalartikel erschien erstmals in i3. Diese Version können Sie hier lesen.